Im Juni werde ich zur Jägerin und Sammlerin. Wobei ich Erdbeeren weniger jage – mehr sammle. Schauplatz sind die Kettwiger Erdbeerfelder, auf denen man selbst sammeln darf und seine Beute nach Gewicht bezahlt. Es verschafft mir Befriedigung, wenn ich mit meiner Plastikschüssel durchs Feld robbe und den anderen Erdbeerjägern die prallsten Früchte wegschnappe. Anschließend stehe ich vor dem Tresen des kleinen Holzhäuschen, lasse meine Erdbeeren auswiegen und drehe meinen Kopf, um zu sehen, dass alle mitbekommen, wie viel ich erbeutet habe.
Böse Früchtchen
Ich quäle mich anschließend, wenn ich und meine volle Plastikschüssel im Auto gemeinsam nach Hause fahren, denn ich habe eine Erdbeerallergie. Die kleinen roten Biester verstecken hinter dem verharmlosenden Namen Beere die Tatsache, dass sie eigentlich zur Familie der Nüsse gehören. Und auf Nüsse reagiere ich mit Halskratzen, juckenden Armen und laufender Nase. Aber eine echte Jägerin verdrängt alle Schmerzen.
Schmerzvolle Erinnerung
Mein ambivalentes Verhältnis zu Erdbeeren machte sich in einem Traum, den ich vor einigen Jahren nachts hatte, bemerkbar. Darin stand ich vor dem Badezimmerspiegel und musste mit Entsetzen sehen, wie sich meine Haut nach und nach rot verfärbte. Die typischen Vertiefungen mit den kleinen Kernen darin tauchten in meinem Gesicht auf. Ich verwandelte mich in eine Erdbeere. Mein Entsetzen darüber werde ich nie vergessen. Heute habe ich wieder eine besonders große Schüssel mit nach Hause gebracht – ein kleiner Sieg über die Erdbeere in mir.